Ambitionierter Technokratenplan ohne Biss
NABU zum Abschlussbericht der Klima-Enquetekommission


(Bremen, den 06.01.22) „Das Ziel der Klimaneutralität bis 2038 ist erfreulich ambitioniert, doch statt massiv Energie zu sparen, wird für Autos, Flugzeuge und Kraftwerke einfach der Treibstoff gewechselt und weiter geht es wie bisher“, bemängelt NABU-Geschäftsführer Sönke Hofmann den Bericht der Bremer Enquete-Kommission Klimaschutz. „Als wäre die Kommission zu feige, den Menschen die Wahrheit zu sagen, nämlich dass wir das 1,5-Grad-Ziel ohne massiven Verzicht nicht erreichen“, so Hofmann weiter.
Als „ständiger Gast“ durfte der NABU in der Enquetekommission zwar den Fachvorträgen beiwohnen, Einfluss auf die Ergebnisse der Kommissionsarbeit hatte der NABU aber nicht. Über Weihnachten arbeiteten die Naturschützer nun den 375 Seiten starken Bericht durch – und sind größtenteils enttäuscht.
Zu feige zur Wahrheit – Verzicht wird ausgeklammert
Es sei utopisch zu glauben, dass die Unmengen zusätzlichen Stroms, die Wasserstoffproduktion und Autobatterien benötigen, sowohl rechtzeitig als auch komplett erneuerbar erzeugt werden könnten, so der NABU. Auf dem Strommarkt der Zukunft werde es viel Konkurrenz geben und nur allernötigste Energie sei noch finanzierbar. „Das Kreuzfahrtterminal auf Erneuerbare umzurüsten ist sinnlos, weil sich niemand diese klimafeindlichste Form des Urlaubs mehr leisten kann“, prognostiziert Hofmann.
Allein die Umstellung des Stahlwerks benötigt gigantische sechs Terawattstunden Energie für Wasserstoff - das Anderthalbfache des Gesamtenergieverbrauchs aller Bremer Wohngebäude! Auch der Strombedarf für die Elektromobilität wird sich mehr als verdoppeln und dafür braucht es Photovoltaik und Windkraft. „Wir begrüßen die Solardachpflicht, müssen aber zusätzlich Südfassaden einbeziehen. Den Ausbau der Windkraft sehen wir teils kritisch“, betont der NABU.
Denkmalschutz gesetzt – Naturschutz als Verfügungsmasse
Windräder in Gewerbegebieten seien eine gute Idee, in Landschaftsschutzgebieten aber nicht und bestenfalls nach sauberer Prüfung zulässig, fordern die Naturschützer. „Während der Denkmalsschutz als gesetzt anerkannt wird, ist Naturschutz anscheinend billige Verfügungsmasse“, kritisiert Sönke Hofmann, „oder anders: Solange das Rathausdach keine Solaranlage haben darf, kann der Strombedarf nicht so entsetzlich groß sein, dass man dafür Windräder ins Schutzgebiet stellt.“
Vier Müllverbrennungsanlagen und ein dann mit Holz aus ganz Europa beheiztes Kraftwerk in Farge sollen weiter bestehen und den Löwenanteil der Fernwärme liefern. „Dieses gigantische Abfallaufkommen werden wir aber gar nicht mehr haben können, denn der Abfall wird ja immer erstmal als Produkt energieaufwändig erzeugt“, gibt Hofmann zu bedenken, „wir müssen Lebensdauer und Wiederverwendung enorm verlängern und in die volle Kreislaufwirtschaft kommen.“ Dazu passe auch nicht, dass der Bremer Biomüll im 100 Kilometer entfernten Bohmte verwertet wird, statt eine eigene Biogas-Anlage in Bremen aufzustellen.
Auch wenn die Ingenieure in ihren Plänen und Prognosen das Ziel der Klimaneutralität 2038 spitz erreichen, lauern viele Fallstricke. „Neben dem Fachkräftemangel beim Dämmen und der Gebäudetechnik sehen wir die Bremer Verwaltung als größtes Hindernis“, befürchtet der NABU. Bereits jetzt verhindere der Brandschutz die optimale Solarnutzung, Immobilien Bremen blockiere noch zu oft, wenn es um Grün- oder Solardächer gehe. Beispielsweise sollen künftig Parkplätze mit mehr als 25 Stellplätzen mit Solarmodulen überdacht werden. „Das wird nur etwas werden, wenn das Bauamt komplett raus ist und private Architekten übernehmen.“
Insgesamt fehlt dem NABU die große Linie. Das Papier verliere sich in vielen Einzelpunkten, ohne dabei allzu oft mit klaren Forderungen anzuecken. „Man erwähnt Schottergärten ohne sie zu verbieten und verpasst es, eine wirksame Versiegelungsabgabe einzuführen“, bedauert Hofmann.
„Bangbüxige Besitzstandswahrung“
Entsprechend fallen die Sondervoten der Parteien zu dem Kompromisspapier aus. Sie zeigen deutlich, wer in Bremen auf der Veränderungsbremse steht. „Dass die FDP allein auf den freien Markt setzt, war erwartbar. Aber beim Verkehr blockiert die SPD komplett, da ist die CDU schon weiter“, so der NABU. Im „Geleitzug“ mit so erfolgreichen urbanen Vorzeigemodellen wie ausgerechnet Duisburg wollen die Genossen lieber „überambitionierte Reduzierungen des Autoverkehrs“ verhindern. Besonders die sogenannten „Push-Maßnahmen“, bei denen Einschränkungen den Verkehr verringern, lehnt die SPD ab. „Vielleicht sollte sich die Bremer SPD mal im Ahrtal die Push-Maßnahmen angucken, mit denen die Natur auf solch bangbüxige Besitzstandwahrer antwortet.“
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