NABU zieht Bilanz
Lob für „Bremer Standard“, Tadel für „Jürgenspark“


(Bremen, den 2.1.23) Bevor der Wahlkampf losgeht, zieht der NABU seine Bilanz zur Arbeit des Bremer Senats. Neben guten Ansätzen gab es für die Naturschützer auch einige Enttäuschungen. Immer gehe der Senat nicht konsequent genug gegen Flächenfraß und Klimawandel vor. Entscheidende Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag seien zu spät oder gar nicht bearbeitet worden. Und durch den Unwillen der Bildungsbehörde droht Klassenfahrten in die Natur zu sozialverträglichen Preisen das Aus.
Positiv überrascht ist NABU-Landesvorsitzender Gerd Richter über viele jüngere Planverfahren: „Es fällt auf, dass bei den wohn- und gemischtgenutzten Quartieren Naturbelange in der Planung berücksichtigt werden. Da hatten wir wenig zu meckern.“ Der „Bremer Standard“ wirke wohl, auch wenn Richter noch einigen Verbesserungsbedarf sieht. Vor allem sind dem NABU die Vorgaben des Standards bei Flächenverbrauch und Grünflächen zu unkonkret.
Regelrecht in Rage gerät Richter dagegen bei Ausreißern wie dem Projekt „Jürgenspark“ in Oberneuland: Ein rund 3,5 Hektar großer ehemaliger Park mit 300 Jahre alten Bäume und wertvollem Totholz soll für gerade einmal acht Wohneinheiten geopfert werden. „Als Ausgleich sollen die künftigen Anwohner allen Ernstes abends und nachts Licht- und Geräuschquellen vermeiden und das ohne dauerhafte Kontrolle. Wer glaubt, dass das klappt und dass Fledermäuse und nachtaktive Insekten so geschützt werden, ist naiv“, so der Naturschützer.
Der NABU habe mit seinem zehn Schritte umfassenden „Bremer Weg“ aufgezeigt, wohin Bremen sich entwickeln müsste. Immer noch gebe es zuviel Flächenverbrauch und vor allem Versiegelung. Zwar sieht die derzeit erarbeitete „verschärfte“ Fassung des Begrünungsortsgesetzes Maßnahmen zur Entsiegelung und Begrünung vor, doch das sei zu wenig. „Wir fordern eine Versiegelungsabgabe von einem Euro pro Quadratmeter für überbaute Flächen und fünf Euro für befestigte Flächen“, betont Gerd Richter. Durch diese Lenkungsabgabe würden sich Entsiegelungsmaßnahmen für Betroffene sogar lohnen.
Ebenfalls im „Bremer Weg“ findet sich die Forderung nach einem höheren Preis für den Wasserverbrauch. „Die Entnahme aus Weser oder von Grundwasser ist definitiv zu billig. Wir brauchen mindestens doppelte Preise und viel geringere Freigrenzen“, fordert der NABU-Vorsitzende. Zwar soll die Wasserentnahmegebühr nach Jahrzehnten nun endlich erhöht werden, doch die angestrebte „moderate Preiserhöhung“ sei in Zeiten des Klimawandels „ein Witz“.
NABU erneuert Forderungen seines „Bremer Weges“
Enttäuscht vom geringen Tempo des Senats bei entscheidenden Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag ist NABU-Geschäftsführer Sönke Hofmann: „Bei allem Verständnis für die Einschränkungen durch die Pandemie ist es beschämend, dass die Umweltsenatorin erst zu Weihnachten den Auftakt der Biodiversitäts-Strategie hinbekommen hat und das Jagdrecht immer noch größtenteils aus dem Dritten Reich stammt.“ Hier müsse in der nächsten Legislatur das Tempo deutlich erhöht werden.
„Es geht um unsere Lebensgrundlagen, die auch mit jeder sinnfreien Mahd und kontraproduktiven Pflege zerstört werden“, urteilt Hofmann. Für den NABU reiche es nicht aus, immer nur auf die landwirtschaftlichen Flächen am Stadtrand zu verweisen. „Wir müssen jede Grünfläche, die nicht intensiv als Liegewiese genutzt wird, dem Primat des Naturschutzes unterstellen. Die Zeiten von billig geschlegelten Rasenflächen müssen endlich vorbei sein.“ Bremen sollte seine Biomasse und die darin gespeicherte Energie auch sinnvoll nutzen.
Kritik des NABU gibt es auch am fehlenden Klimaschutz des Senats: „Die Enquete-Kommission war im Grunde ein Jahr Nachhilfe in Sachen Maßnahmen zum Klimaschutz. Nun wissen die Politiker wie es ginge, aber es passiert kaum was“, ärgert sich Sönke Hofmann. Die Bremser säßen auch in den Verwaltungen. „Ich habe privat Ende August eine Photovoltaikanlage bestellt, die nun im Januar angeschlossen wird. An langen Lieferzeiten kann es also nicht liegen.“ Auf öffentlichen Gebäuden seien in der vergangenen Legislatur gerade mal eine Handvoll Anlagen dazugekommen.
„Sozialdemokratischer Sargnagel“ für Klassenfahrten
„Dieser Senat nimmt seine Beschlüsse nicht ernst“, urteilt der NABU. Bestes Beispiel sei die Bildungsbehörde: „Wir haben unser Schullandheim Dreptefarm aus Überzeugung und gemäß dem ‘Aktionsplan 2025‘ auf biologische Verpflegung umgestellt. Andere Heime kaufen lieber weiter billig und die Bildungsbehörde warf uns daraufhin vor, wir könnten nicht wirtschaften“, berichtet Hofmann. Mit den rasant steigenden Energiepreisen hatte das Bremer Schullandheim im März dringend um Hilfe gebeten und wurde abgewiesen, nach 22 Jahren ehrenamtlichen Engagements für Bremer Schulen.
„Ausgerechnet eine sozialdemokratische Senatorin wird zum Sargnagel des letzten Tafelsilbers der Reformpädagogik in Bremen“, warnt Hofmann. Die Schullandheime baute man nach dem Krieg billig als Sommerhäuser ohne nennenswerte Dämmung. „Von der Klimaneutralität sind diese Gebäude soweit weg wie die Bildungsbehörde von Effizienz und Bürgerfreundlichkeit.“ Ohne eine Investition in Millionenhöhe werden bald keine Schüler mehr zu sozial verträglichen Preisen auf Klassenfahrt gehen können. „Bei uns waren Klassen, wo mehr als ein Drittel der Kinder zum ersten Mal im Leben in einem Wald standen“, betont Hofmann die Wichtigkeit seines Heimes.
Wirtschaftlich war 2022 für den NABU in Bremen äußerst erfolgreich, freuen sich Gerd Richter und Sönke Hofmann. „Mit einer großen Erbschaft im Rücken waren wir in der Lage zu verhindern, dass mit dem Reinkenheider Forst rund 5 Prozent der Landeswaldfläche verramscht wurden“, berichtet Richter. Derzeit läge der Verkauf des Bremerhavener Waldgebietes zwar auf Eis, dennoch bleibe der NABU wachsam. Solch konsequentes Eintreten für die Natur bringt auch Unterstützer. Über 1.100 neue Mitglieder verleihen dem NABU mehr Gewicht, aktuell sind es insgesamt 9.715 Mitglieder im Land Bremen.